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Insolvenzrecht: Trau, schau, wem?

Patric Naumann
14. Mai 2024
Insolvenzrecht: Trau, schau, wem?

Der Beitrag soll die scheinbar merkwürdige Frage beleuchten, ob der Insolvenzverwalter Zahlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters anfechten darf, auch wenn es dieselbe Person ist?

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Patric Naumann, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht sowie Studentin der Rechtswissenschaft, Frau Emilia Fischer.

Einleitung

Sobald ein Unternehmen mit einem laufenden Geschäftsbetrieb einen Antrag auf Insolvenzeröffnung stellt, wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter durch das zuständige Insolvenzgericht bestellt. Dieser agiert zusammen mit der Geschäftsführung, bis das Gericht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden hat und einen Insolvenzverwalter einsetzt. Grundsätzlich dürfen Forderungen, etwa von Lieferanten oder Dienstleistern, die bis zum Insolvenzantrag begründet wurden, nicht mehr gezahlt werden.

Beispiel

Ein Zulieferbetrieb in der Automobilindustrie kommt durch ausbleibende Abnahmen des Automobilherstellers in Zahlungsschwierigkeiten und muss Insolvenzantrag stellen. Das Insolvenzgericht bestellt einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Bei der Fertigung ist der insolvente Betrieb auf die Lieferung von individuell angefertigten Teilen durch einen Vorlieferanten angewiesen, bei dem er durch die Zahlungsausfälle bis zum Insolvenzantrag erhebliche Zahlungsrückstände aufgebaut hat.
Bei dem Automobilhersteller droht jedoch ein Bandstillstand, wenn die Weiterbelieferung durch den insolventen Betrieb nicht erfolgt. Daher soll auch der Vorlieferant wieder die Spezialteile liefern, damit die Lieferkette nicht unterbrochen wird und kein Bandstillstand eintritt. Dazu ist der Vorlieferant jedoch nur bereit, wenn die bestehenden Forderungen aus der Zeit vor Antragstellung ausgeglichen werden. Darf der vorläufige Insolvenzverwalter einer Bezahlung der Forderung des Vorlieferanten zustimmen?

Pflichten/Zweck

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist verpflichtet darauf zu achten, dass durch das insolvente Unternehmen keine Zahlungen auf Forderungen vor Insolvenzantragstellung erfolgen bzw. er wird Zahlungen auf solche Forderungen nicht zustimmen. Denn letztendlich müssen Gläubiger von Insolvenzforderungen gleichbehandelt werden. Diese erhalten lediglich eine Quote auf ihre Forderung aus der vorhandenen Vermögensmasse, die für diese Forderungen haftet. Der Begründung neuer Forderungen wird der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen der Fortführung nur zustimmen, wenn damit die Insolvenzmasse vergrößert oder deren Verkleinerung verhindert wird, etwa durch eine Fortführung des Unternehmens.

Beispiel: Begleichung von Forderungen

Besteht der Vorlieferant im Beispiel auf die Bezahlung der Zahlungsrückstände durch den insolventen Betrieb, obwohl bekannt ist, dass seine alten Forderungen nicht bezahlt werden dürfen, so ist er nicht schutzwürdig. Stellt er zugleich – um sein Ziel zu erreichen – die Weiterbelieferung der benötigten Spezialteile ein, so wird der vorläufige Verwalter gezwungenermaßen die geschuldeten Beiträge der Altforderungen begleichen (vgl. einen vergleichbaren Fall bei BGH, Urteil vom 13.03.2003 – IX ZR 64/02).

Negative Folge: Gläubigerbenachteiligung

Mit Begleichung der alten Forderung bei diesem Gläubiger, wird eine Benachteiligung aller weiteren Insolvenzgläubiger ausgelöst, da die Zahlung aus der Insolvenzmasse erfolgt und jene folglich geschmälert wird. Für die Befriedigung der Gläubiger aus der Masse steht eine geringere Summe zur Verfügung. Die Ziele des Insolvenzverfahrens – erfolgreiche Sanierung des Geschäftsbetriebs sowie gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger – werden gefährdet.

Dieser Handlungsvorgang ist ein zweckwidriger Vermögensabfluss. Jener kann die Fortführung des Unternehmens gefährden. Um dies zu vermeiden, entschied der BGH (Urteil vom 04.11.2004 – IX 22/03 sowie vom 09.12.2004 – IX ZR 108/04), dass solche Zahlungen, denen der vorläufige Verwalter zugestimmt hat, vom endgültigen Insolvenzverwalter später zurückgefordert, sprich angefochten werden dürfen. Der Vorlieferant muss die erhaltene Zahlung an die Insolvenzmasse zurückerstatten.

Die Anfechtung darf selbst dann vorgenommen werden, wenn vorläufiger und endgültiger Insolvenzverwalter dieselbe Person sind.

Ausschluss der Anfechtung: Vertrauenstatbestand

Die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden und denen der vorläufige Verwalter zugestimmt hat, wird nach Maßgabe des schutzwürdigen Vertrauens eingeschränkt. Eine Anfechtung wird ausgeschlossen, wenn das Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters beim Gläubiger einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründete und dieser folglich erwarten durfte, ein unentziehbares Recht errungen zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 04.11.2004. aaO).

Zerstörung des Vertrauenstatbestands

Der vorläufige Verwalter zerstört jedes Vertrauen eines einfordernden Gläubigers, sobald er vor Erteilung seiner Zustimmung zum Ausdruck bringt, dass er die vom Gläubiger geforderte Begleichung nicht für gerechtfertigt hält. Sobald der Vertragspartner Kenntnis von der finanziellen Krisensituation des Schuldners hat, ist er nicht mehr schutzwürdig. Der Gläubiger ist auch dann nicht schutzwürdig, wenn der Wert der Leistung des Gläubigers in die Insolvenzmasse weitaus geringer ist als der Nominalwert seiner befriedigten Altforderungen durch den Schuldner.

Der Vertrauenstatbestand wird ferner zerstört und die Anfechtung möglich, wenn der Gläubiger trotz Widerstand des vorläufigen Insolvenzverwalters seine wirtschaftliche Machtstellung ausnutzt, um die Begleichung der Forderungen zu erzwingen. Dem Verwalter bleibt zur Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs nämlich keine andere Wahl, als dem Begehren des Gläubigers nachzukommen.

Denn verlangt der Geschäftspartner trotz der Insolvenz des Schuldnerunternehmens von diesem die Begleichung seiner Rechnungen, wird ihm unterstellt, er strebe eine Benachteiligung aller weiteren Gläubiger an: Der Geschäftspartner nutzt das Druckmittel – Unterlassen der Lieferung der vom Schuldner benötigten Spezialteile – erfolgreich aus, um den Verwalter zu Zahlungen zu veranlassen, die lediglich ihm nutzen, allen anderen Gläubigern aber schädigen. Da diese Verhaltensweise der Insolvenzordnung widerspricht, kann ihm die erhaltene Leistung durch Anfechtung wieder entzogen werden.

Somit werden die Ziele des Insolvenzverfahrens gewahrt: Gleichbehandlung aller Gläubiger sowie eine Sanierung des Geschäftsbetriebes.

Gerne stehen unsere insolvenzrechtlichen Experten Ihnen bei sämtlichen Fragen zum Thema Insolvenz und Sanierung zur Verfügung – zögern Sie nicht, uns bei einschlägigen Rückfragen zu kontaktieren.