Diskriminierung wegen fehlendem Vermittlungsauftrag bei der Agentur für Arbeit?

Hintergrund:Die Rechte schwerbehinderter Menschen im Bewerbungsverfahren sind umfassend geschützt. Nach § 164 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) müssen Arbeitgeber versuchen offene Stellen über die Agentur für Arbeit an Schwerbehinderte zu vermitteln. Ob private Unternehmen hierfür einen expliziten Vermittlungsauftrag geben müssen oder es ausreicht, die Stellenanzeige lediglich in die Jobbörse der Arbeitsagentur einzustellen, war bisher nicht höchstrichterlich geklärt.
Der Fall:
Ein schwerbehinderter Bewerber klagte aufgrund einer Jobabsage auf eine Entschädigung in Höhe des anderthalbfachen Monatsgehalts und berief sich darauf, dass das Unternehmen ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Ein Indiz dafür sei, dass das Unternehmen entgegen §§ 164 Abs. 1, 165 SGB IX keinen Vermittlungsauftrag bei der Agentur für Arbeit gestellt habe, sondern die Stellenanzeige lediglich in der Jobbörse veröffentlicht hatte. Das Unternehmen entgegnete, es sei als privates Unternehmen nicht verpflichtet einen Vermittlungsauftrag zu erteilen.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 27.03.2025 – 8 AZR 123/24) hat entschieden, dass die Pflicht öffentlicher Arbeitgeber zur Erteilung eines Vermittlungsauftrags in ihrer Schutzwirkung auch auf private Arbeitgeber übertragbar ist. Ein fehlender Vermittlungsauftrag bei der Arbeitsagentur kann also auch bei privaten Unternehmen eine gesetzliche Vermutung für eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung im Sinne von § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) begründen. In diesem Fall tragen dann die Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass keine Diskriminierung vorlag. Allein die Veröffentlichung in der Jobbörse genügt hierfür nicht.<br<
In diesem Fall konnte der Arbeitgeber die Vermutung jedoch widerlegen: Die Entscheidung zur Besetzung der Stelle war bereits vor Eingang der Bewerbung getroffen worden. Eine Diskriminierung lag daher im konkreten Fall nicht vor.
Ausblick für Arbeitgeber:
Die Entscheidung verdeutlicht die Bedeutung des § 164 SGB IX: Arbeitgeber, auch private Unternehmen, müssen offene Stellen aktiv über die Agentur für Arbeit vermitteln lassen, um eine Benachteiligung schwerbehinderter Menschen zu vermeiden. Selbst wenn eine Diskriminierung letztlich nicht eingetreten ist, kann ein formeller Verstoß gegen diese Pflicht zu einer gesetzlichen Vermutung führen, die vor Gericht nur schwer zu widerlegen ist und zu Entschädigungszahlungen der Arbeitgeber führen kann.
Handlungsempfehlung:
Arbeitgeber sollten bei jeder Stellenbesetzung die Agentur für Arbeit rechtzeitig aktiv einbeziehen und einen Vermittlungsauftrag erteilen, um die gesetzlichen Vorgaben nach dem SGB IX zu erfüllen und das Risiko von Diskriminierungsklagen zu vermeiden. Wichtig ist, dies nachvollziehbar zu dokumentieren und auch kurzfristige Besetzungsentscheidungen so zu gestalten, dass die Rechte schwerbehinderter Bewerber wahren.
Unsere arbeitsrechtlichen Experten unterstützen Sie gerne bei allen Fragen rund um die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, die Vorbereitung von Bewerbungsverfahren
sowie die rechtssichere Umsetzung von Auswahlprozessen – sowohl außergerichtlich als auch im gerichtlichen Verfahren.
Kommen Sie bei allen Fragen zum Arbeitsrecht gerne auf uns zu!
Ein Beitrag von Rechtsanwalt Peter Piesche, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Mannheimer Wirtschaftskanzlei Pabst Lorenz + Partner PartG mbB
Mannheim, 22.08.2025