Aktuelles zur Verjährung von Pflichtteilsansprüchen

Für die Verjährung von Pflichtteilsansprüchen gilt die Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB. Hiernach verjähren Pflichtteilsansprüche innerhalb von drei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Pflichtteilsberechtigte vom Eintritt des Erbfalls und der ihn beeinträchtigenden Verfügung, sprich von seiner Enterbung, erfahren hat. Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 02.03.2023 (I-10 U 108/21 – juris) entschieden, dass die für den Fristlauf erforderliche Kenntnis von einer beeinträchtigenden Verfügung fehlen kann, wenn der Pflichtteilsberechtigte infolge eines Irrtums davon ausgeht, die ihm bekannte letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt nach der Auffassung des OLG Hamm jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.
Was war passiert?
Der in zweiter Ehe verheiratet gewesene Erblasser hatte seinen Sohn aus erster Ehe in einem notariellen Testament zu seinem Alleinerben eingesetzt. Später hatte der Erblasser dieses Testament widerrufen und in einem neuen Testament anstelle seines Sohnes seine zweite Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt.
Der Sohn ging nach dem Tod des Erblassers davon aus, dass er dennoch Alleinerbe sei. Zum Zeitpunkt der Errichtung des zweiten Testaments zugunsten der Ehefrau sei sein Vater wegen einer fortschreitenden Demenzerkrankung nicht mehr testierfähig gewesen.
Der Sohn beantragte daher beim zuständigen Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins, der ihn zum Alleinerben ausweist. Auch die zweite Ehefrau des Erblassers stellte beim Nachlassgericht einen Erbscheinsantrag, allerdings mit dem Ziel, dass sie als Alleinerbin des Erblassers festgestellt werde. Das Nachlassgericht kam zu dem Ergebnis, dass die vom Sohn im Erbscheinverfahren geschilderten Tatsachen keine Testierunfähigkeit des Erblassers begründen könnten.
Der Sohn legte Beschwerde gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts ein. Erst im Beschwerdeverfahren wurde ein Sachverständigengutachten zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers eingeholt. Der Sachverständige konnte eine Testierunfähigkeit des Erblassers nicht feststellen. Daraufhin nahm der Sohn die Beschwerde zurück und forderte zugleich die zweite Ehefrau des Erblassers zur Auskunft über den Nachlass sowie zur Zahlung seines Pflichtteils auf.
Da die Ehefrau des Erblassers hierauf nicht reagierte, erhob der Sohn wegen seiner Pflichtteilsansprüche Stufenklage bei Gericht.
Die Ehefrau wendete vor Gericht ein, dass die Pflichtteilsansprüche des Sohnes verjährt seien, da mittlerweile vier Jahre vergangen seien, seitdem der Sohn Kenntnis von den Testamenten des Erblassers erlangt habe.
Das Landgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen und die Klage abgewiesen.
Wie hat das OLG Hamm entschieden?
Das OLG Hamm hat das Urteil des Landgerichtes abgeändert und die Beklagte zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses verurteilt. Die Pflichtteilsansprüche des Sohnes seien nicht verjährt.
Zwar habe der Sohn vom Tod des Erblassers und der letztwilligen Verfügung zugunsten der Beklagten bereits im Sterbejahr des Erblassers Kenntnis erhalten, jedoch habe er erst mit der Übersendung des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens Kenntnis von der Wirksamkeit des Testaments erlangt.
Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt hat. Die erforderliche Kenntnis kann jedoch fehlen, wenn der Berechtigte infolge eines Irrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam. Das gelte jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen seien die vom Sohn des Erblassers gegen die Wirksamkeit des Testaments vorgetragenen Bedenken durchaus berechtigt gewesen.
Was ist die Folge?
Die Bedenken des Sohnes hinsichtlich der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung wurden erst durch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten ausgeräumt. Erst zu diesem Zeitpunkt hatte der Sohn somit Kenntnis über die Unwirksamkeit des Testaments mit der Folge, dass die Verjährungsfrist seiner Pflichtteilsansprüche auch erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen hat.
Das Urteil des OLG Hamm macht deutlich, dass sich die für den Lauf der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis nicht mit der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten über den Inhalt des ihn enterbenden Testaments (oder Erbvertrags) decken muss. Es empfiehlt sich daher auch für bereits verjährt geglaubte Pflichtteilsansprüche eine anwaltliche Prüfung.
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Ein Beitrag von Rechtsanwältin Nina Lenz-Brendel, Fachanwältin für Erbrecht und Wirtschaftsmediatorin